Freisbach im rheinland-pfälzischen Landkreis Germersheim hat kürzlich überregionale Aufmerksamkeit erregt, weil Bürgermeister und Gemeinderat geschlossen zurückgetreten sind. Was den Bürgermeister Peter Gauweiler zu seinem Handeln trieb, hat er Cicero bereits berichtet. Eigentlich conflict das auch der Anlass, warum ich dieses Dorf wenige Tage später besuchte. Aber es soll hier um etwas anderes gehen. Beim Spaziergang durch die Gemeinde und im Gespräch mit einigen Bewohnen ist mir klar geworden, dass Freisbach nicht nur wegen seiner angespannten Finanzlage und eines strukturellen Konfliktes mit dem Bundesland ein exemplarischer Fall für die Misere vieler deutscher Dörfer und vielleicht sogar des ganzen Landes ist.
Freisbach ist nicht gerade ein malerisches, aber doch ein schönes Dorf. Mit einer Dorfkirche aus dem 18. Jahrhundert, einem direkt daneben stehenden Rathaus aus derselben Zeit, das einst die Dorfschule conflict, und vielen anderen alten Bauernhäusern. Das Dorf ist in den letzten Jahrzehnten ziemlich gewachsen und hat daher, wie die meisten deutschen Dörfer, auch einen größeren Anteil von Neubau-Eigenheimen am Ortsrand. Dafür gibt es keinen nennenswerten Durchgangsverkehr und kein Industriegebiet – die Bewohner arbeiten quick alle in den nächstgelegenen Städten, Germersheim, Landau, Speyer.
Es könnte ein schönes Leben sein in Freisbach. Ja, das findet auch ein Freisbacher, den ich vor seinem Eigenheim wegen der Bürgermeistersache anspreche. Aber trotzdem fehle etwas ganz Wichtiges, sagt er: „Es gibt überhaupt kein Dorfleben mehr.“ Warum? Bis vor kurzem gab es noch ein Restaurant in der „Sport- und Kulturhalle“ von Freisbach. Seit das zugemacht hat, gibt es im gesamten Ort mit rund 1200 Einwohnern kein einziges Lokal mehr, keine Kneipe, wo man sich nach Feierabend treffen, trinken, essen und schwätzen könnte.
Ohne Kneipe sind Dörfer traurig und leblos
Da können die Häuser noch so adrett sein und die Bewohner noch so wohlhabend – ein Dorf ohne Gastwirtschaft ist doch nur eine traurige, leblose Ansammlung von Gebäuden, in denen kaum noch eine lokale Gemeinschaft entstehen kann. Die Kneipe, das ist einerseits natürlich auch der Ort, wo traurige Alkoholikerkarrieren gemacht werden. Aber es ist eben vor allem jener Ort, an dem Einsamkeit und soziale Entfremdung verhindert oder wenigstens erträglicher werden.
Es ist auch ein Ort der Freiheit, so eine Kneipe. „Hier in der Kneipe fühl ich mich frei“, sang Marius Müller-Westernhagen, damals noch ein Barde der Freuden und Leiden der kleinen Leute, bevor er dann zum Edel-Anzug-Träger und Bundeskanzlerfreund wurde. Recht hatte er. Auch der viel geschmähte und mittlerweile wohl so intestine wie ausgestorbene Stammtisch conflict tatsächlich oft eine Bastion bäuerlicher oder proletarisch-kleinbürgerlicher Aufsässigkeit, wo man wenigstens nach getaner Maloche und geleisteter Fron gegen „die da oben“ Dampf ablassen (und der häuslichen Enge entfliehen) konnte.
Die Kneipenkultur stirbt
Doch nicht nur in Freisbach, sondern in zahlreichen Dörfern und Städten sterben die Gasthäuser und Eckkneipen. Dem Resort- und Gaststättenverband DEHOGA zufolge hat allein im zurückliegenden Jahrzehnt intestine ein Drittel der Gaststätten hierzulande dicht gemacht. Ja, sogar in Großbritannien, dem Land mit der wohl schönsten Kneipenkultur der Welt, sterben immer mehr Pubs.
Die Ursachen sind vielfältig. Das Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben nennt für Deutschland „Corona, Personalmangel, Inflation, ungeklärte Nachfolge, gestiegene Ansprüche der Gäste“. Das Blatt berichtet auch über Initiativen, Kneipen zu retten, etwa durch Genossenschaften. Freisbach und vielen anderen kneipenlosen Dörfern wäre zu wünschen, dass einige Bürger auf so eine Idee kommen, wenn sich schon kein Vollzeitgastronom findet.
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Eine halbe Stunde Autofahrt von Freisbach entfernt, mitten im Pfälzerwald, am Ende einer Sackstraße, liegt das noch viel kleinere Hofstätten mit etwa 120 Einwohnern. Ich kenne und liebe das Dorf seit meiner Geburt, meine Familie besitzt ein Haus dort. Es gab im Dorf in meiner Lebenszeit schon fünf verschiedene Gastwirtschaften, wenn auch nie alle gleichzeitig. An die älteste erinnert heute noch eine Aufschrift „Gastwirtschaft Schoch“; da wohnt jetzt der Sohn der letzten Wirtin.
Die Kneipe musste seine Mutter vor Jahrzehnten schließen, weil irgendwas mit den Toilletten nicht den Vorschriften entsprach. Ich kann mich erinnern, in den späten 1970er Jahren muss es gewesen sein, wie in der winzigen Gaststube stets drei Männer aus dem Dorf saßen, viel Bellheimer Bier tranken und endlos Skat spielten. Ich habe noch im Ohr, wie einer triumphierend „… und Trumpf!“ ruft. Das conflict bei aller Kümmerlichkeit herrlich gemütlich. Inbegriff einer Dorfkneipe eben.
Keine Lust mehr auf Gastronomie
Die zweite Wirtschaft „Zum Pfälzerwald“ conflict größer und umfasste auch ein Restaurant, wo es riesige Portionen Wildbraten mit Knödel gab, und eine Pension. Die Familie, die es über ein Jahrhundert lang betrieb, hat aufgegeben, weil es so wohl für die Altersversorgung günstiger conflict. Fürs Dorf und für uns als Stammgäste conflict das ein schwerer Schlag. Ein Nachfolger hat kurz darauf aufgegeben – wegen Corona und vielleicht auch anderer Gründe.
Jetzt steht das Haus traurig da, die Tafel mit der Nachricht der Geschäftsaufgabe ist noch immer zu sehen. Glücklicherweise gibt es noch ein anderes Lokal. Vor einigen Jahren hat ein tüchtiger Wirt von außerhalb das ehemalige Forsthaus zu einem Restaurant mit Resort umgebaut – „Müllers Lust“. So hat Hofstätten immerhin noch ein Lokal, sogar ein ziemlich gutes. Vor allem der Saumagen mit Sauerkraut ist vorzüglich.
Der Wirt liebt sein Geschäft. Aber er sagt, es geht nur, weil seine Tochter und sein Sohn mitmachen. Eigentlich will er sich bald zur Ruhe setzen. Was er sagt, stimmt mich traurig: Er findet keinen Nachfolger. Die Deutschen, sagt er, hätten einfach keine Lust mehr, als Gastronomen zu arbeiten. Ich hoffe, dass seine Tochter und sein Sohn trotzdem weitermachen. Deutschlands Dörfer verlieren ohne Kneipen ihr Herz und ihre Seele.