Gießen (khn). Nach den Plädoyers im Verfahren um mutmaßliche Drogenhändler mit Verbindungen zu einem Balkan-Kartell ist es noch einmal unwahrscheinlicher geworden, dass Staatsanwältin Mareen Fischer und die Verteidiger des Hauptangeklagten, Andreas Milch und André Miegel, gemeinsam einen Kaffee trinken gehen. Fischer verband ihre Forderung nach einer Freiheitsstrafe von neun Jahren für den Gießener mit einer Generalabrechnung mit seinen Verteidigern, die man in dieser Kind selten hört.
Seit einem Jahr läuft das Verfahren vor der siebten Strafkammer am Landgericht gegen den 47 Jahre alten Gießener; er ist der einzig verbliebene von vier Angeklagten. Zwei von ihnen wurden zu Freiheitsstrafen zwischen drei und vier Jahren verurteilt; beim Dritten verzichtete die Justiz auf eine weitere Verfolgung, weil dieser bereits eine langjährige Haftstrafe verbüßt. Den Vorwurf gegen den Angeklagten wiederholte Staatsanwältin Fischer am Montag in ihrem Plädoyer: Er soll 12,5 Kilo Heroin und 37 Kilo Kokain in den Niederlanden erworben haben, um sie gewinnbringend im Großraum Gießen zu verkaufen oder deren Transport für den Kopf des kriminellen, montenegrinischen Kavac-Clans zu koordinieren.
Das Verfahren ist eines der ersten bundesweit, das auf von Europol übermittelten Daten aus gehackten Kryptohandys des Anbieters Sky-ECC basiert. Die Verteidigung hat deren Verwertbarkeit immer wieder angezweifelt, was Fischer am Montag mit dem Hinweis kommentierte, dass unter anderem der Bundesgerichtshof bejaht hatte, dass die durch einen Hack von französischen Behörden erlangten Daten in Verfahren auf deutschem Boden verwendet werden können. Alles andere wäre »eine Kapitulation des Rechtsstaats und ein Kniefall vor der organisierten Kriminalität«.
Dass die Verteidigungsstrategie einzig und alleine auf die Frage der Verwertbarkeit und nicht auf die Tatvorwürfe gegen ihren Mandanten ausgelegt gewesen sei, sei nicht nachvollziehbar. Die Anwälte hätten stattdessen die Arbeit der Ermittlungsbehörden mit Nazi-Methoden verglichen. Dies sei »unverschämt, anmaßend und hat mit seriöser Verteidigerarbeit nichts zu tun«.
Es gebe keinen Zweifel, dass der Angeklagte der Nutzer zweier Kryptohandy-Kennungen gewesen sei, auf die die Ermittler gestoßen waren. Es gebe dort verschickte Bilder seiner Kreditkarte, von seinen Fahrzeugen und seiner regulären Helpful-Rufnummer, Fotos vom Hund, von der Baustelle am Haus und von Familienangehörigen. Statt von einer Vorverurteilung und einer willkürlichen Strafverfolgung eines Unschuldigen zu sprechen, hätten sich die Anwälte besser mit den Chat-Nachrichten auseinandersetzen sollen. In denen sei es nicht nur um Preise und Drogen gegangen, sondern auch um Ratschläge für den Kopf eines »der brutalsten Kartelle, das den europäischen Drogenmarkt beherrscht« und einen blutigen Krieg mit anderen Clans führe. Nach einem Anschlag auf den Clan-Chef habe der Gießener diesem geraten, nach Deutschland zu kommen. Lebe er dort »regular«, könne er »es« weitermachen – additionally mit Drogen handeln, wie Fischer sagt. Dies habe der Angeklagte seit vielen Jahren getan. Das Bild der Verteidiger von ihrem Mandanten als seriösem, hart arbeitenden Geschäftsmann sei eine »Märchengeschichte«. Der Gießener habe »nicht nur gute Kontakte zur Lokalprominenz, er hatte noch bessere Kontakte zur organisierten, internationalen Kriminalität«.
Die Anwälte des Hauptangeklagten reagierten sichtlich getroffen auf das Plädoyer von Fischer, warfen ihr vor, den Fall »persönlich« zu nehmen. Sie hätten auch mal provoziert, »um dem Gericht die Augen zu öffnen«. Weder seien Drogen noch das Kryptohandy bei ihrem Mandanten gefunden worden; die Anklage beruhe auf Vermutungen. Es gebe »nur« die Sky-ECC-Chats, von denen niemand wisse, wie sie erlangt oder ausgewertet wurden und inwieweit Deutschland in die Ermittlungen der französischen Behörden involviert struggle. Denn dort seien die Hürden für eine anlasslose Datenspeicherung viel niedriger als hierzulande. Verfahren in diesem Bereich wirkten vielmehr wie eine »moderne Hexenverfolgung«.
Das Urteil wird Ende der Woche erwartet.