Dem normalen Anleger wird es gar nicht wirklich auffallen, dass ein sehr großer Teil der Börsenumsätze in Europa und den USA in den letzten zehn Minuten eines Handelstags stattfindet. Dies zeigen Daten unter anderem von einer Studie der Frankfurter Goethe-Universität, die die Entwicklung diesseits des Atlantiks unter die Lupe genommen hat. Inzwischen wird rund ein Drittel aller S&P-500-Aktientransaktionen in den letzten zehn Minuten der Sitzung ausgeführt, wie Daten des Tradingalgorithmen-Entwicklers BestEx Analysis zeigen. 2021 waren es noch 27%. In Europa ist das Muster ähnlich.
Passive Fonds kaufen Aktien kurz vor Schluss
Hinter dieser Dynamik steht der weltweite Development zu passiven Investments. Indexfonds kaufen und verkaufen Aktien in der Regel zum Börsenschluss, da die letzten Kurse des Tages zur Festlegung der Benchmarks verwendet werden, die sie nachbilden sollen. Nebenwirkung des Indexfonds-Booms sind geringere Liquidität in der übrigen Handelszeit und Verzerrungen bei der Preisbildung.
Nach Daten von Bloomberg Intelligence ist das verwaltete Vermögen in passiven Aktienfonds in den letzten zehn Jahren allein in den USA auf mehr als 11,5 Billionen Greenback gestiegen — wodurch sich der Handel immer mehr auf das Ende der Sitzung verlagert. Selbständig agierende Investoren am Markt, die von dieser Liquidität profitieren wollen, folgen dem Development. Das Ergebnis ist ein sich selbst verstärkender Kreislauf.
Die Schlussauktion in Europa, die nach dem Ende des regulären Handels stattfindet, macht an den öffentlichen Handelsplattformen heute 28% des Volumens aus, wie Daten von Bloomberg Intelligence und des Analysehauses large xyt zeigen. Vor vier Jahren waren es noch 23%.
„Es ist allgemein bekannt, dass Schlussauktionen sehr, sehr gute Mechanismen zum Marktschluss sind“, sagt Benjamin Clapham von der Goethe-Universität Frankfurt. “Das magazine stimmen, doch bei einer solchen Verlagerung der Volumina auf diese letzte Handelsmöglichkeit des Tages, könnte es Preisineffizienzen geben”, so der Co-Autor der Studie “Shifting Volumes to the Close: Consequences for Price Discovery and Market Quality”.
Die Studie, die Clapham zusammen mit seinem Kollegen Micha Bender und dem Bundesbank-Analysten Benedikt Schwemmlein verfasste, konzentrierte sich auf Massive Caps an den Börsen in London, Paris und Frankfurt in den vier Jahren bis Mitte 2023.
Das Trio stellte fest, dass sich die Aktien im Allgemeinen zwischen dem Ende des fortlaufenden Handels und dem letzten in der Schlussauktion festgestellten Kurs bewegen. 14% dieser Bewegung kehrt sich über Nacht um. Dies signalisiere, dass die Börsendynamik eher durch einseitige Kapitalflüsse angetrieben wird als durch Fundamentaldaten.
In den USA wurde in einer Studie aus dem vergangenen Jahr argumentiert, dass sich die während der Auktion beobachteten Bewegungen aufgrund der Liquiditätsdynamik über Nacht umkehren. Dies ist eines von mehreren Argumenten, die gegen passives Investieren ins Feld geführt werden. Kritiker argumentieren auch, dass es die Bewertungen von Unternehmen blindlings aufblähe und die Neugewichtung großer Indizes Chaos anrichten könne.
Doch inwieweit die Verzerrungen beim Börsenschluss Anlass zur Besorgnis geben sollten, bleibt indessen ungewiss. Wie bei so vielem im modernen Marktumfeld ist auch hier die Gemengelage nicht eindeutig. Für Hitesh Mittal, den Gründer von BestEx Analysis, ist die Umkehrung der Kurse über Nacht Teil der normalen Marktfunktion. Passive Fonds kauften bei Börsenschluss zwar zu geringfügig höheren Preisen. Letztlich seien die Kosten aber weitaus geringer als das, was Liquiditätsanbieter bei geringerer Liquidität zu Beginn des Tages für Transaktionen berechnen würden.
FMW/Bloomberg